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AVIVA-BERLIN.de im Juni 2025 - Beitrag vom 15.05.2025


Zahl antisemitischer Vorfälle In Sachsen-Anhalt bleibt hoch – Angriffe auf Gedenken und Israelfeindliche Mobilisierung im Fokus
AVIVA-Redaktion

Veröffentlichung des Jahresberichts "Antisemitische Vorfälle in Sachsen-Anhalt 2024" der Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt. Am 14. Mai 2025 stellte die Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt in Trägerschaft von OFEK e.V. ihren Jahresbericht vor.




Magdeburg, 14. Mai 2025 – Im ersten vollen Jahr nach den Massakern des 7. Oktobers 2023 blieb die Anzahl der antisemitischen Vorfälle in Sachsen-Anhalt hoch: Für das Jahr 2024 wurden der Meldestelle für antisemitische Vorfälle RIAS Sachsen-Anhalt im Schnitt vier Vorfälle pro Woche bekannt.

Die Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt in Trägerschaft von OFEK e.V. dokumentierte 202 antisemitische Vorfälle und damit 13 Prozent mehr als 2023 (178 Vorfälle). Hierunter sind drei Angriffe, 22 gezielte Sachbeschädigungen und 16 Bedrohungen, womit die Meldestelle in fast jeder der Gewaltfallkategorien einen Anstieg verzeichnen musste.

Die Vorfälle ereigneten sich in allen Lebensbereichen, ob im öffentlichen Raum, in Bildungsinstitutionen, am Arbeitsplatz, im eigenen Wohnumfeld oder online. Die Alltagspräsenz antisemitischer Sprache schafft ein Klima der Bedrohung für Jüdinnen:Juden in Sachsen-Anhalt und ist verheerend für ihr Sicherheitsempfinden.
Direkt von den Anfeindungen betroffen waren 86 Personen und in 47 Fällen Einrichtungen.

Die am häufigsten dokumentierte Erscheinungsform des Antisemitismus im Bundesland stellte mit 87 Fällen die Bezugnahme auf die Shoah und die Verbrechen des Nationalsozialismus dar – durch Verherrlichung, Leugnung oder Angriffe auf das Gedenken. Besonders auffällig sind die zahlreichen Diebstähle oder massiven Beschädigungen von Stolpersteinen in zeitlicher Nähe zu verschiedenen Gedenktagen: So wurden in Zeitz rund um den ersten Jahrestag des 7. Oktober 2023 sämtliche Stolpersteine entfernt. In Halle wurden in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum fünfjährigen Gedenken an den antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle und Wiedersdorf fünf Stolpersteine gestohlen. Antisemitismus mit Bezug zur Shoah äußerte sich aber auch in "1933! 1933!"-Rufen gegenüber einer israelischen Fußballmannschaft in einem Stadion in Halle oder durch ostentatives Zerreißen einer Ausgabe des Tagebuchs Anne Franks an einer Bushaltestelle in Aken.

Ein weitgehend neues Phänomen beim antisemitischen Vorfallgeschehen im Bundesland bildete die starke Präsenz des antiisraelischen Aktivismus und die Versuche von entsprechenden Gruppen, mithilfe antisemitischer Agitation auf Kundgebungen und in Propagandamaterialien Einfluss auf die Debatten in Sachsen-Anhalt zu nehmen. Insbesondere in Halle, aber auch in Magdeburg, haben sich seit dem 7. Oktober 2023 Gruppen etabliert und zunehmend radikalisiert, die in die Studierendenschaft zu wirken und politische Gegner:innen einzuschüchtern versuchen. Aus diesen Kreisen kam es zu Beschimpfungen, Veranstaltungsstörungen, Todesdrohungen bis hin zur physischen Gewalt. Gleichzeitig muss festgehalten werden, dass das Milieu, dem 2024 die meisten antisemitischen Vorfälle zugeordnet werden konnten, das Spektrum des Rechtsextremismus bildete.

"Antisemitische Vorfälle in Sachsen-Anhalt 2024" ist der zweite Jahresbericht der Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt, die sich seit 2022 in Trägerschaft von OFEK e.V. befindet.

Stimmen zum Bericht "Antisemitische Vorfälle In Sachsen-Anhalt 2024"

Inessa Myslitska, Vorsitzende, und Rimma Fil, Geschäftsführerin, Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt K.d.ö.R.:


"Der neu veröffentlichte Bericht ´Antisemitische Vorfälle in Sachsen-Anhalt 2024´ des RIAS verdeutlicht in alarmierender Weise die besorgniserregende Zunahme von Antisemitismus und antiisraelischem Aktivismus in unserem Bundesland. Der Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt nimmt diese Entwicklung mit großer Sorge zur Kenntnis und zeigt sich tief beunruhigt über die gegenwärtige, gefährliche Lage. Es handelt sich längst nicht mehr nur um vereinzelte Vorfälle oder isolierten Judenhass. Vielmehr sehen wir uns einer Welle von Feindseligkeit, Aggression und gezielter Desinformation ausgesetzt – getragen nicht nur von radikalisierten Gruppen oder islamistischen Milieus, sondern zunehmend auch aus der Mitte der Gesellschaft. Gerade in solchen Zeiten dürfen wir nicht schweigen und uns nicht von Angst lähmen lassen. Stattdessen müssen wir klar und mutig Stellung beziehen. Deutschland ist das Land, in dem wir leben – für viele von uns unsere Heimat. Umso wichtiger ist es, die schmerzhaften Themen klar zu benennen und offen über deren Ursachen zu sprechen. Und das – heute."

Dr. Wolfgang Schneiß, Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus:

"Prävention und der Kampf gegen Antisemitismus beginnen damit, dass wir ihn erkennen und sichtbar machen. Der Landesregierung ist es sehr wichtig, ein möglichst ganzheitliches Bild zu bekommen, das die Informationen der Sicherheitsbehörden, der Zivilgesellschaft und der jüdischen Gemeinschaft selbst umfasst. Deshalb brauchen wir die Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt. Sie arbeitet niedrigschwellig und mit Fokus auf die Betroffenen. Ich bin dankbar für die engagierte Aufbauarbeit des RIAS-Teams in den letzten Jahren. In Sachsen-Anhalt spricht sich herum, dass man sich bei antisemitischen Vorfällen an RIAS wenden kann. Die Trägerschaft der Meldestelle durch OFEK e.V. schafft Synergien zu den sich anschließenden begleitenden Angeboten.
Der Austausch mit Polizei und Justiz im Land, unter anderem mit Hilfe des zweimal im Jahr stattfindenden ´Runden Tisches gegen antisemitische Gewalt´ in der Staatskanzlei, ist unerlässlich. Das Land wird die Meldestelle weiter und verstärkt unterstützen, damit das Angebot im Flächenland Sachsen-Anhalt noch besser präsent sein kann. Der Jahresbericht 2024 zeigt: Es ist so bitter nötig, dass wir gemeinsam alles uns Mögliche tun, um gegen Antisemitismus jedweder Couleur anzukämpfen und Betroffenen zur Seite zu stehen."

Marie-Kristin Batz und Dr. Michael Schüßler, Projektteam Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt:

"Auch in Sachsen-Anhalt spiegelt sich der bundesweite Trend wider, wonach Hochschulen zunehmend zu Orten, an denen es regelmäßig zu antisemitischen Vorfällen kommt, werden. RIAS Sachsen-Anhalt wurden 2024 besonders viele Vorfälle, die von einem antiisraelischen Milieu ausgehen, bekannt. Gleichzeitig verdoppelte sich die Anzahl der Fälle aggressiver Erinnerungsabwehr, denkt man etwa an die zahlreichen Stolpersteindiebstähle. Jüdinnen:Juden erleben Antisemitismus zudem in ihrem persönlichen Nahbereich, etwa im Wohnumfeld oder am Arbeitsplatz. Das zwingt viele, zwischen der Sichtbarkeit der eigenen jüdischen Identität und ihrer Sicherheit abwägen zu müssen."

Marina Chernivsky, Vorstand und Geschäftsführung, OFEK e.V. – Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung:

"Die neuen Zahlen von RIAS Sachsen-Anhalt zeigen deutlich:
Antisemitische Vorfälle geschehen im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen – und direkt vor der eigenen Haustür. Besonders alarmierend ist die Zunahme gezielter Angriffe auf das Gedenken, etwa durch gestohlene oder zerstörte Stolpersteine. Die Virulenz des Post-Schoa-Antisemitismus ist keine neue, aber eine anhaltend besorgniserregende Dynamik. Antisemitismus trifft nicht ´nur´ einzelne Menschen, sondern auch das historische Gedächtnis einer Gemeinschaft. Als Träger der Meldestelle steht OFEK e.V. Betroffenen mit psychosozialer Beratung und Unterstützung zur Seite – und setzt sich gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen und politischen Akteur:innen für Schutz, Sichtbarkeit und konkrete Gegenmaßnahmen ein."

Der Bericht "Antisemitische Vorfälle in Sachsen-Anhalt 2024" kann heruntergeladen werden unter:ofek-beratung.de


Printexemplare können unter info@rias-sachsen-anhalt.de angefragt werden

Die Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt in Trägerschaft von OFEK e.V. dokumentiert landesweit antisemitische Vorfälle unabhängig davon, ob sie als strafbar erachtet werden oder nicht. RIAS Sachsen-Anhalt nimmt Meldungen über die Meldeseite www.report-antisemitism.de, per E-Mail oder telefonisch entgegen, verweist auf weiterführende Beratungsangebote, informiert über aktuelle Entwicklungen. Die Meldestelle arbeitet in enger Kooperation mit jüdischen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Beratungsnetzwerken vor Ort. Sie ist Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (Bundesverband RIAS e.V.) und arbeitet auf Grundlage der vom Bundesverband RIAS entwickelten einheitlichen Anforderungen und Qualitätsstandards. Die Meldestelle wird gefördert durch Staatskanzlei und Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt.

OFEK e.V. ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin und bundesweiter Ausrichtung. OFEK ist die erste Fachberatungsstelle in Deutschland, die auf Antisemitismus und Community-basierte Betroffenenberatung bei Gewalt und Diskriminierung spezialisiert ist.
> OFEK arbeitet bundesweit und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz:
1) fallbezogene Betroffenenberatung, 2) Stärkung und Empowerment der Community, 3) antisemitismuskritische Beratung für Institutionen, 4) Advocacy und fachpolitische Interessensvertretung. Die Beratung von Betroffenen orientiert sich an den fachspezifischen Qualitätsstandards professioneller Opfer- und Antidiskriminierungsberatung. OFEK ist erreichbar über die bundesweite Hotline und verfügt über Beratungsstandorte in Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen (im Aufbau). Außerdem ist OFEK Träger von zwei RIAS-Meldestellen in Sachsen und Sachsen-Anhalt.




Quelle: Pressemitteilung Meldestelle RIAS Sachsen-Anhalt in Trägerschaft von OFEK e.V., 14. Mai 2025


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